Eine Insel im Wandel
ein Beitrag von Patricia Happak und Dirk Fregin
Als erster Mensch einen Flecken Erde betreten – wo kann man dieses Gefühl erleben? Dort, wo Erde entsteht, und zwar Tag für Tag: auf der Vulkaninsel Hawai’i! Ein seit 1983 kontinuierlich ausbrechender Vulkan formt das Gesicht der größten hawaiianischen Insel immer wieder aufs Neue. Wer hier zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist kann echtes Neuland betreten, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Inselkette Hawaii mit ihren acht Hauptinseln und unzähligen Atollen ist in vielerlei Hinsicht traumhaft schön. Vier der acht Hauptinseln haben wir selbst schon bereist: Kauai, Oahu, Maui und natürlich Hawai’i, oft auch schlicht Big Island genannt. Anders als dieser langweilige Name vermuten lässt finden wir: Big Island ist das mit Abstand beeindruckendste Reiseziel. Es lässt sich hier eine schöpferische und gleichermaßen zerstörerische Naturgewalt erleben: Vulkanismus.
Big Island geht aus fünf Vulkanen hervor: Kohala (1670 m, bereits erloschen), Mauna Kea (4205 m, schlafend) sowie Hualālai (2521 m), Mauna Loa (4170 m) und Kīlauea (1247 m, alle drei aktiv). Einen aktiven Ausbruch erlebt zwar zurzeit nur der Kīlauea, dafür aber durchgehend seit bereits 35 Jahren. Mitten im Pazifik gelegen, mehrere tausend Kilometer von jeglichen Plattengrenzen entfernt, kann der Vulkanismus nur durch einen Hotspot erklärt werden, der sich genau unter Big Island befindet. Der Entstehungsprozess der hawaiianischen Vulkane lässt sich schön mit einem Käsekuchen im Ofen vergleichen, der sich beim Backen aufbläht. Die Kuchenoberfläche wird zwar schnell fest, doch im Inneren dehnt sich der Teig durch die Hitze weiter aus. Wird der Druck zu groß, reißt der Kuchen auf und noch flüssiger Teig gelangt nach außen. Ähnlich verhält es sich mit der Erdkruste: an dünnen Bereichen bläht sich die Erde auf, reißt in regelmäßigen Abständen ein und lässt durch austretende Magma einen sogenannten Schildvulkan entstehen. Was beim Kuchen die besonders leckeren Krustenstücke ergibt wird bei der Vulkanbildung als „Rift-Zone“ bezeichnet. Die Rift-Zonen sind Schwächestellen an denen Magma leichter zur Erdoberfläche durchdringen kann, als an anderen Stellen des Vulkans. Daher entstehen vor allem entlang dieser Zonen immer neue Krater. Der Hauptkrater des Kīlauea ist der Halemaʻumaʻu, allerdings ging der bis Mai 2018 andauernde Ausbruch hauptsächlich vom Puʻu ʻŌʻō aus, einem Krater, der sich auf der östlichen Rift-Zone befindet. Übrigens: Magma, die an die Oberfläche getreten ist, nennen Geologen Lava.
Seit vier Jahren besuchen wir nun selbst Big Island und können die Veränderungen beobachten, die die Lava mit sich bringt. 2014 war es der Puʻu ʻŌʻō, der uns eindrucksvoll vor Augen hielt, wie die Geburt neuer Erde vonstattengeht. Im September desselben Jahres erkundeten wir das Ausbruchsgebiet des sogenannten „June 27 lava flow“.
Wie der Name vermuten lässt begann dieser Ausbruch am 27. Juni 2014 an der nordöstlichen Flanke des Puʻu ʻŌʻō. Dieser Flow etablierte sich binnen kurzer Zeit zum einzigen Lava Flow des Kraters und floss langsam aber stetig auf den Ort Pāhoa zu. Am 25.10.2014 erreichte die Lavawalze die AP‘A‘ā Street unweit der örtlichen Recyclingstation. Am 11.11.2014 durchbrach ein Seitenarm des Flows den Zaun der Müllstation, bevor am 17.11.2014 keine Aktivität dieses Lava Feldes im Bereich Pāhoa mehr zu erkennen war.
Die Spitze des Ausbruches stoppte kurz vor der wichtigen und viel befahrenen Pāhoa Village Road, während kleine Ausbrüche weiter bergaufwärts erneut aufflammten, allerdings in unbewohnten Gebieten. In der Zeit zwischen November 2014 und März 2015 kam ein neuer Arm des „June 27 lava flow“ dem Marktplatz von Pāhoa sehr nahe, allerdings blieb auch der Marktplatz knapp verschont und der Flow kam erneut zum Erliegen. Im folgenden Jahr bildeten sich und erstarrten mehrere kleinere Arme, doch Mitte 2016 schaffte es ein besonders großer Fluss des Puʻu ʻŌʻō bis an die Küste südöstlich des Kraters.
Durch die in den Pazifik fließende Lava bildete sich daraufhin das Kamokuna Lava Delta. Das Spektakel lockte unzählige Touristen an, die sich mit Booten oder zu Fuß dem „Ocean Entry“ auf dem Gebiet des Hawai’i Volcanoes National Parks näherten. Darunter waren natürlich auch wir. Um diese unwirtliche Kraft mit eigenen Augen bestaunen zu können, nahmen wir im März 2017 eine mehrstündige Wanderung über unförmige Lavafelder auf uns. An manchen Stellen konnte man diese unglaubliche Hitze von gerade noch nicht ganz erkalteter Lava aufsteigen fühlen, die Schummerungen der sehr heißen Luft über erstarrter Lava wahrnehmen und auf Lava wandern, die zuvor noch kein menschlicher Fuß betreten hatte. Teilweise sind wir auf der sehr zerbrechlichen dünnen Oberfläche der Lava ein Stück eingebrochen, was gleichzeitig beängstigend aber auch faszinierend war. Belohnt wurden wir zum Sonnenuntergang mit dem unglaublichen Glow am Ocean Entry und teilweise sichtbaren, dünnen Lavaströmen, die sich ins Meer ergossen. Die zerstörerische Kraft und gleichzeitige Schönheit unseres Planeten war uns nie klarer als in diesem Moment, da der Ursprung dessen direkt vor unseren Augen passierte. Nach November 2017 wurde kein aktiver Ocean Entry am Kamokuna Lava Delta gesichtet, allerdings blieb das Lavafeld nördlich des Ocean Entry bis zum 13.04.2018 aktiv.
Seit dem 13.04.2018 ereigneten sich viele Dinge gleichzeitig am Kīlauea. Im Hauptkrater Halemaʻumaʻu stieg der Lavasee, der dort konstant seit 2008 vor sich hin blubbert, so hoch, dass Lava über den Rand des Sees hinausfloss. Gleichzeitig hob sich der Boden im Puʻu ʻŌʻō um mehrere Meter, was mit einer Ansammlung von Magma und einzelnen Austritten von Lava zu begründen ist. Am 30.04.2018 ereigneten sich mehrere heftige Erdbeben im Bereich des Puʻu ʻŌʻō, die zur Folge hatten, dass Teile des sich zuvor stark aufblähenden Kraterbodens einstürzten. Die Erdbeben hielten an, jedoch „wanderten“ diese immer weiter Richtung Osten entlang der östlichen Rift-Zone und auf den Puna-Distrikt zu. Wissenschaftler vom U.S. Geological Survey (USGS) gehen davon aus, dass sich Magma entlang der Rift-Zone verlagerte und dadurch die Erdbeben ausgelöst wurden. Bewohner angrenzender Siedlungen konnten am 02.05.2018 Erdbeben spüren und erste Risse in den Straßen der Siedlung „Leilani Estates“ traten auf. Nur einen Tag später riss die Erde an mehreren Stellen in besagter Siedlung auf und brachte Lava zum Vorschein, woraufhin die Siedlung sofort evakuiert wurde. Aus drei Rissen, sogenannten „fissures“, wurden acht, dann sechzehn und letztendlich vierundzwanzig am 27.05.2018. Während immer mehr Risse auftraten, förderten manche nur wenig Lava und stießen dabei kleine, aber auch größere Mengen zum Teil toxischen Gases aus, wohingegen andere einen umfangreichen Lavastrom bildeten. Die Risse 20 und 22 bildeten einen Flow, der am 20.05.2018 den Ozean erreichte. In der selben Zeit ereigneten sich mehrere Explosionen innerhalb des Halemaʻumaʻu als Folge einstürzender Wände, da der Lavasee komplett verschwunden war. Zurück bleibt ein 400 Meter tiefer Schlot ohne Lava, der stark raucht.
Der Ocean Entry wurde schon am 29.05.2018 wieder inaktiv und auch die Risse 20 und 22 brachten immer weniger Lava hervor. Allerdings begann der achte Riss relativ viel Lava zu spucken, die Richtung Nordosten floss und schließlich einen Knick Richtung Osten vollzog, wo sie letztendlich am 04.06.2018 erneut den Pazifik erreichte. Dieser Zustand hielt bis zum 09.08.2018 an und aus dem Riss acht wurde ein richtiger Vulkankegel. Momentan werden immer wieder kleine Lavamengen im Kegel entdeckt, die aber einen Tag später schon wieder verschwunden sind.
Zeitweise fließt unterirdisch Lava zur Küste und tropft in den Pazifik, aber auch dies passiert nur sehr kurz und episodisch. Nach wie vor werden viele kleine Erdbeben gemessen, allerdings wesentlich weniger und schwächere als es bisher der Fall war. Die Schwefeldioxid-Emissionen sind auf dem niedrigsten Stand seit 2007.
Momentan scheint der Kīlauea eher ruhig zu sein, aber vermutlich ist das nur die Ruhe vor dem Sturm. Denn eins ist sicher: Lava auf Hawaii hört nie auf zu fließen!